Wir freuen uns, dass Herr Jeremy Ritter seit dem 01.09.2022 in unserem Team als Rechtsanwalt tätig ist. Er unterstüzt Dr. Alexander Hübner im Kompetenzfeld Vergaberecht. Herzlich willkommen Jeremy Ritter und viel Freude und Erfolg.
Wir freuen uns über die Nominierung von „iurratio awards 2023 – Die besten Arbeitgeber für das Referendariat“ in der Kategorie „Beste Arbeitgeber Stuttgart“.
Am 23.02.2022 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit veröffentlicht. Anders als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sieht der Richtlinienentwurf vor, dass Unternehmen für Schäden haften, die durch die Verletzung der Pflicht entstehen, Präventions- oder Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Welche Auswirkungen die Haftungsnorm des Kommissionsvorschlags auf Unternehmen haben könnte, wird unser Partner Dr. Roland Kläger in einem Online-Seminar der Business Scouts for Development, die von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) getragen werden, erläutern.
Termin: 7. Juli 2022, 14:00 – 15:00 Uhr
Ort: Online-Seminar
Weitere Informationen:
Erste Vernetzungsveranstaltung 2022, Netzwerk geförderte Stellen Nachhaltige Mobilität mit Dr. Alexander Hübner
Termin: 05.07.2022, 13:00 Uhr – 18:00 Uhr
Ort: Hotel Silber/Haus der Geschichte, Dorotheenstraße 10, 70173 Stuttgart
Anmeldung/Information:
Europarechts-News Juni 2022
Inhalt: Wettbewerbsrecht (Inkrafttreten der neuen vertikalen Gruppenfreistellungsbestimmungen zum 01.06.2022; Konsultationsprozess zu horizontalen Gruppenfreistellungsbestimmungen; Strommarktliberalisierung)
(1) Wettbewerbsrecht – Neue vertikale Gruppenfreistellungsverordnung und neue vertikale Leitlinien sowie öffentliche Konsultation zu horizontalen Freistellungen
Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sieht in Art. 101 Abs. 1 u.a. das Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen vor, die den Wettbewerb beschränken. Ausnahmen davon legt Abs. 3 fest, insbesondere wenn sie unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne den Wettbewerb auszuschalten. Unterschieden wird hier zwischen vertikalen und horizontalen Vereinbarungen:
A. Vertikale Vereinbarungen
Eine vertikale Vereinbarung ist nach der einschlägigen EU-Definition eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise jeweils auf einer anderen Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.
Zur Konkretisierung der Regelungen für vertikale Vereinbarungen veröffentlichte die Europäische Kommission am 10.05.2022 die schon lange erwartete neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen („Vertikal-GVO“). Mit dieser wurde nunmehr zum 01.06.2022 die bisher gültige Verordnung abgelöst. Ergänzt wird die neue Vertikal-GVO durch neue Vertikal-Leitlinien. Mit den Neuregelungen und den neuen Interpretationshilfen soll u.a. dem zunehmenden E-Commerce Rechnung getragen werden.
Vorausgegangen ist diesen Neufassungen ein Evaluierungsprozess und eine öffentliche Konsultation. Für die Vertragspraxis ergeben sich nun aufgrund der neugefassten GVO und den Leitlinien folgende wesentliche Neuerungen:
• Im dualen Vertrieb, wenn ein Anbieter Waren nicht nur über unabhängige Vertriebshändler, sondern im Wettbewerb dazu auch direkt an Endkunden vertreibt, bleibt ein Informationsaustausch zwar unter gewissen Bedingungen zulässig, allerdings mit stärkeren Einschränkungen als bisher. Dies gilt auch für Hybridplattformen. Dagegen kommt nun auch eine Ausdehnung der Freistellung des Doppelvertriebs auf Großhändler und Importeure in Betracht.
• Einschränkungen hinsichtlich einer Freistellung sind auch in Bezug auf sogenannte Paritätsverpflichtungen auszumachen. Bei Paritätsklausen werden Verkäufer dahingehend verpflichtet, ihren Vertragspartnern Bedingungen anzubieten, die den Bedingungen der Vertriebskanäle Dritter (wie anderen Plattformen) und/oder den Bedingungen der Direktvertriebskanäle des Verkäufers (wie seinen Websites) entsprechen oder besser sind. Auch in solchen Fällen kann nicht mehr durchgehend eine Berufung auf eine GVO-Freistellung erfolgen; die Sachverhalte müssen dann einzeln nach Artikel 101 AEUV geprüft werden.
• Andererseits kommt eine GVO-Freistellung in stärkerem Maße als bislang in Betracht hinsichtlich bestimmter Beschränkungen der Möglichkeit eines Abnehmers, sich aktiv an einzelne Kunden zu wenden (aktiver Verkauf).
• Außerdem werden Doppelpreissysteme nunmehr nicht mehr einfach als Kernbeschränkungen angesehen etwa in Fällen, in denen gegenüber demselben Händler für den Internetvertrieb und den terrestrischen Vertrieb unterschiedliche Großhandelspreise in Rechnung gestellt und für den Online- und Offline-Vertrieb in selektiven Vertriebssystemen unterschiedliche Kriterien festgelegt werden.
Weitere Details und Fallgruppen ergeben sich aus den Leitlinien sowie aus einem zusammenfassenden Vermerk der Europäischen Kommission (Internet-Link: https://ec.europa.eu/competition-policy/system/files/2022-05/explanatory_note_VBER_and_Guidelines_2022.pdf).
B. Horizontale Vereinbarungen
Horizontale Vereinbarungen betreffen dagegen das Verhältnis zwischen Unternehmen derselben Produktions- oder Vertriebsstufe. Hinsichtlich solcher horizontaler Vereinbarungen hatte die Europäische Kommission am 01.03.2022 die interessierten Kreise im Rahmen einer öffentlichen Konsultation aufgefordert, bis zum 26. April 2022 Stellung zu nehmen zu zwei im Entwurf vorgelegten überarbeiteten horizontalen Gruppenfreistellungsverordnungen – und zwar zum einen für den Bereich Forschung und Entwicklung (FuE-GVO), zum anderen für Spezialisierungsvereinbarungen (Spezialisierungs-GVO). Ergänzend hierzu sollen die Horizontal-Leitlinien überarbeitet werden. Unter anderem soll nach Aussagen der Europäischen Kommission Unternehmen eine leichtere Zusammenarbeit in Bereichen wie FuE und Produktion ermöglicht werden durch klarere Formulierungen und die Aufnahme neuer Erläuterungen sowie eine geringfügige Ausweitung des Anwendungsbereichs der Spezialisierungs-GVO.
FuE-Vereinbarungen, die völlig neue Produkte, Technologien und Verfahren betreffen und FuE-Anstrengungen, die auf ein spezifisches Ziel, aber noch nicht konkret auf ein Produkt oder eine Technologie ausgerichtet sind, sollen nach den Plänen der EU-Kommission nur dann von den EU-Wettbewerbsvorschriften ausgenommen werden, wenn genügend vergleichbare konkurrierende FuE-Anstrengungen bestehen. Die Bewertung der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen in Vereinbarungen soll in einem neuen Kapitel Aufnahme finden. Neu gefasst werden sollen auch die Erläuterungen insbesondere zum heiklen Thema eines Datenaustausches. Abzuwarten bleibt, welche Änderungen oder Ergänzungen der Regelungstexte vor einer Verabschiedung noch erfolgen werden.
(2) Wettbewerbsrecht – Marktliberalisierung: Urteil des EuGH vom 12.05.2022, Rs. C 377/20 (Servizio Elettrico Nazionale)
In diesem Fall wurden dem EuGH Vorlagefragen aus Italien unterbreitet vor dem Hintergrund einer schrittweisen Liberalisierung des dortigen Strommarktes. In einem ersten Schritt wurde zwischen Kunden des geschützten Marktes, zu dem vor allem Privatleute und kleinere Unternehmen zählen, und sonstigen Kunden unterschieden. Beim geschützten Markt handelte es sich um ein reguliertes System mit einem besonderen Preisschutz. In einem zweiten Schritt sollten dann auch die Kunden des geschützten Marktes am freien Markt teilnehmen können.
Im Zuge der Liberalisierung wurden die Erzeugungs- und Verteilungstätigkeiten des ehemaligen Strommonopolisten ENEL entflochten („unbundling“) mit Vergabe verschiedener Phasen des Verteilungsprozesses an unterschiedliche Tochtergesellschaften. Nach einer Untersuchung stellte die italienische Kartellbehörde den Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Tochtergesellschaften, koordiniert durch ihre Muttergesellschaft ENEL, über einen bestimmten Zeitraum fest und verhängte ein gesamtschuldnerisches Bußgeld. Der erhobene Vorwurf bestand darin, dass eine der Tochtergesellschaften versucht haben soll, ihre Kunden aus dem Bereich des geschützten Marktes in wettbewerbswidriger Weise auf eine andere Tochtergesellschaft überzuleiten, die auf dem freien Markt tätig ist. ENEL und die beiden Tochtergesellschaften erhoben Klage, wobei sich im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens der italienische Staatsrat mit Vorlagefragen zu Verdrängungspraktiken an den EuGH wandte.
Der EuGH sah das durch Art. 102 AEUV geschützte Interesse vor dem Hintergrund des dort angeordneten Verbots des missbräuchlichen Ausnutzens einer marktbeherrschenden Stellung im Wohl der Verbraucher. Nachweisen müsse eine Wettbewerbsbehörde, dass eine Verhaltensweise eines Unternehmens in marktbeherrschender Stellung durch den Einsatz von Mitteln oder Ressourcen, die von denen eines normalen Wettbewerbs abweichen, in eine Struktur wirksamen Wettbewerbs eingreifen kann. Auch die Möglichkeit der Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung ist nachzuweisen. Die Beweislast reicht aber nicht soweit, dass sie auch den Nachweis der Geeignetheit der beanstandeten Verhaltensweisen mitumfasst, den Verbrauchern einen unmittelbaren Schaden zuzufügen. Das herrschende Unternehmen kann dagegen den Nachweis führen, dass eine etwaige Verdrängungswirkung aus seiner Verhaltensweise durch positive Auswirkungen auf die Verbraucher ausgeglichen oder sogar übertroffen wird.
Aus Sicht des EuGH ist die Beurteilung einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis eines Unternehmens in beherrschender Stellung auf der Grundlage der Eignung dieser Praxis zu beurteilen, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten. Dagegen muss eine Wettbewerbsbehörde nicht die Absicht des betreffenden Unternehmens nachweisen, seine Wettbewerber durch andere Mittel als die des Leistungswettbewerbs zu verdrängen.
Bei Verlust eines gesetzlichen Monopols muss ein Unternehmen während der gesamten Marktliberalisierung davon Abstand nehmen, auf solche Mittel zurückzugreifen, über die es aufgrund seines früheren Monopols verfügte und die seinen Mitwettbewerbern nicht zur Verfügung stehen.
Der EuGH hatte sich schließlich auch noch mit der Frage zu befassen, inwieweit das Verhalten einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann: Liegt eine beherrschende Stellung einer oder mehrerer Tochtergesellschaften vor, die einer wirtschaftlichen Einheit angehören, und wird diese Stellung missbräuchlich ausgenutzt, so reicht das Bestehen dieser Einheit für die Annahme aus, dass auch die Muttergesellschaft für diesen Missbrauch verantwortlich ist. Hier greift eine Vermutungswirkung, wenn zum relevanten Zeitpunkt zumindest nahezu das gesamte Kapital dieser Tochtergesellschaften unmittelbar oder mittelbar von der Muttergesellschaft gehalten wurde.
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt
Dr. Thomas M. Grupp
Maître en droit (Aix-Marseille III)
Tel.: +49 (0) 711/22744-69
tg@haver-mailaender.de
„Unlimited“ war unser Terrassengespräch am Montag, 30. Mai mit Extremsportler Jonas Deichmann - dessen Motto, Buch und Filmtitel lautet schließlich „Das Limit bin nur ich“. Mit 120 Triathlons der Ironman-Distanz umrundete er mit 450 Kilometer Schwimmen, 21.000 Kilometer mit dem Rad und 5.000 Kilometer Laufen die Welt. Bei uns legte er einen Stopp ein und berichtete was er alles erlebt hat, was ihn Tag für Tag angetrieben hat, erzählte packende Geschichten und zeigte eindrucksvolle Bilder. Jeder kann sich so seine eigenen Gedanken und Planungen machen, ob sie/er Jonas Deichmann mit einem Fahrradausflug im März … tausende Kilometer durchs eiskalte Sibirien - nacheifern möchte, viel Spaß! Wer am Montag leider nicht dabei sein konnte, hat die Möglichkeit seinen Film „Das Limit bin nur ich“ im Kino zu sehen. Wir waren beeindruckt von dieser Leistung und Willensstärke und bedanken uns bei allen Gästen, und bei Jonas Deichmann, für einen tollen Abend mit italienischen Köstlichkeiten und Blick über Stuttgart!
Dr. Roland Kläger (ed.)
Comparative guide on the impact of insolvency on international arbitration, The Law Firm Network (2022)
Europarechts-News Juni/Juli 2021
(1) Europäisches Kartellrecht: Unangekündigte Nachprüfungen der Europäischen Kommission bei einem Bekleidungsunternehmen am 22.06.2021
Im Falle mutmaßlicher Verstöße gegen das EU-Kartellrecht kann die Kommission unangekündigte Nachprüfungen durchführen. Zu dieser Vorgehensweise sah sich die Kommission laut einer Pressemitteilung am 22.06.2021 bei einem deutschen Unternehmen der Bekleidungsindustrie veranlasst. Für das Unternehmen gilt bis auf weiteres die Unschuldsvermutung. Es hat das Recht, sich zu verteidigen und im Laufe des Verfahrens gehört zu werden. Eine feste Frist, binnen derer die Untersuchungen abgeschlossen sein müssen, gibt es nicht. Nachdem die Corona-Zahlen zurückgehen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission in Zukunft wieder verstärkt zu solchen Maßnahmen greift, wenn der Verdacht eines kartellrechtswidrigen Verhaltens besteht. Unternehmen sollten auf eine strikte Beachtung der kartellrechtlichen Vorgaben achten und im Bedarfsfall frühzeitig entsprechende Fachexpertise einbinden.
(2) Haftung für wettbewerbswidriges Verhalten: Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in Sachen Sumal, S. L. gegen Mercedes Benz Trucks España S. L., Rs. C-882/19 vom 15.04.2021
In dem beim EuGH anhängigen Fall „Sumal“ hatte sich Generalanwalt Pitruzzella zur Frage zu äußern, inwieweit eine Tochtergesellschaft dazu verpflichtet sein kann, Schäden zu ersetzen, die durch wettbewerbswidriges Verhalten der Muttergesellschaft als alleinige Adressatin der von der Kommission verhängten Geldbuße entstanden sind. Der Generalanwalt nahm hierbei die sogenannte Theorie der wirtschaftlichen Einheit als Ausgangspunkt und betrachtete zum einen die Voraussetzungen, die für eine aufsteigende Haftung der Muttergesellschaft für wettbewerbswidriges Verhalten ihrer Tochtergesellschaften entscheidend wären. Nebst einer wirtschaftlichen Einheit ist hierfür vor allem ein bestimmender Einfluss der Muttergesellschaft erforderlich. Einen solchen bestimmenden Einfluss übe die Tochtergesellschaft aber nicht im Falle des Szenarios einer Haftung für das Verhalten der Muttergesellschaft aus. Allerdings sei der bestimmende Einfluss hierbei eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit. Eine Haftung der Tochter komme nun in Betracht, wenn die Tätigkeit der Tochtergesellschaft gewissermaßen für die Verwirklichung des wettbewerbswidrigen Verhaltens erforderlich sei, weil sie zum Beispiel kartellbefangene Güter verkauft habe. Für eine absteigende Haftung müsse die Tochtergesellschaft im selben Bereich tätig sein, in dem die Muttergesellschaft das wettbewerbswidrige Verhalten an den Tag gelegt habe und durch ihr Marktverhalten die Konkretisierung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung ermöglicht hätten. Tochter- und Muttergesellschaft hafteten dann gesamtschuldnerisch. Der Geschädigte habe die Wahl, welche Gesellschaft er in Anspruch nehme. Der Entscheidung des EuGH ist nun entgegenzusehen.
(3) Beihilferecht: Urteil des EuG in Sachen Dansk Erhverv ./. Kommission vom 09.06.2021, Rs. T-47/19 (Nichterhebung von Getränkepfand im Grenzgebiet)
Werden Getränke in Einwegverpackungen im Grenzgebiet ausschließlich an Kunden in Dänemark verkauft mit der einzugehenden Verpflichtung, diese außerhalb Deutschlands zu konsumieren und deren Verpackungen zu entsorgen, so sollte nach Ansicht von Behörden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern keine Pflicht zur Pfanderhebung wie in anderen Fällen bestehen. Dies sah ein dänischer Berufsverband als rechtswidrig an und berief sich auf eine Beihilfe, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist. Die Europäische Kommission gab seiner daraufhin eingelegten Beschwerde aber nicht statt, so dass sich der Verband dagegen mittels einer Nichtigkeitsklage an das Europäische Gericht wandte. In einem Urteil vom 09.06.2021 erklärte das (erstinstanzliche) Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig. Vor allem beanstandete das Gericht, dass die Kommission die für eine Beihilfe erforderliche Voraussetzung „staatliche Mittel“ ohne Prüfung verneint hatte, ob Auslegungsschwierigkeiten, auf die sie sich stützte, nur vorübergehend und der schrittweisen Klärung der Vorschriften inhärent waren.
(4) Beihilferecht: Urteil des EuG in Sachen Ryanair ./. Europäische Kommission vom 09.06.2021, Rs. T-665/20 (Entschädigung für Condor)
Das Urteil zum Beihilferecht vom 09.06.2021 auf Betreiben von Ryanair wegen gewährter Entschädigungen an Condor enthält eine ausführliche Anleitung, unter welchen Umständen Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, gewährt werden können. So müssen Beihilfemaßnahmen geeignet sein, den durch außergewöhnliche Ereignisse verursachten Schaden zu beseitigen und die Höhe des Ausgleichs muss auf das beschränkt werden, was erforderlich ist, um gerade den Schaden auszugleichen, der den durch die betreffende Maßnahme Begünstigten entstanden ist. Zudem bedarf es eines besonders zu prüfenden Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden aus dem fraglichen Ereignis ohne vom Hinzutreten anderer Ursachen abzuhängen. Die Kommission muss hierbei ihre Beschlüsse genau erläutern, damit dies nachvollziehbar ist. Dies sah das EuG im konkreten Fall in wesentlichen Punkten nicht als gewährleistet an.
(5) Produkthaftungsrecht: Urteil des EuGH vom 10.06.2021, Rs. C-65/20 – Krone-Verlag (Kräuterpfarrer Benedikt)
Aus Wien wurde ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH herangetragen, ob eine Tageszeitung, die in einer täglichen Kolumne eine unzutreffende Gesundheitsempfehlung eines unabhängigen Zeitungskolumnisten veröffentlicht hat, auf der Grundlage dessen verklagt werden kann, dass sie ein fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) vertrieben habe. Im konkreten österreichischen Fall hatte eine Leserin der Kronen-Zeitung vorgebracht, sie habe dadurch, dass sie der Empfehlung des „Kräuterpfarrers Benedikt“ gefolgt sei, einen Schaden an ihrer Gesundheit erlitten. Statt eine Kren-/Meerrettichauflage bei Rheumaschmerzen gemäß dem Beitrag von zwei bis fünf Stunden anzubringen, wären zwei bis fünf Minuten korrekt gewesen. Der EuGH verneinte eine verschuldensunabhängige Haftung des Zeitungsverlags. Ein Exemplar einer gedruckten Zeitung sei nicht als ein fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie anzusehen, weil es nicht um einen dem körperlichen Produkt selbst innewohnenden Fehler gehe, sondern um eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit des geistigen Inhalts, im konkreten Fall in Bezug auf eine Dienstleistung. Allerdings sei dadurch noch nicht gesagt, dass nicht andere Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung anwendbar sein könnten, die wie die Haftung für verdeckte Mängel oder für Verschulden auf anderen Grundlagen beruhten.
(6) Fremdwährungsdarlehen für Verbraucher: Urteile des EuGH in Sachen BNP Paribas Personal Finance vom 10.06.2021, Rs. C-776/19; C-777/19; C-778/19; C-779/19; C-780/19; C-781/19; C-782/19
Der Sachverhalt dieser Urteile reicht in die Jahre 2008 und 2009 zurück. Verbraucher hatten seinerzeit bei der BNP Paribas Personal Finance Hypthekendarlehen aufgenommen zum Erwerb von Immobilien oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften. Die Darlehen lauteten auf Schweizer Franken, waren aber in Euro rückzahlbar. Zwar war das Wechselkursrisiko in den Darlehensverträgen nicht ausdrücklich erwähnt, es konnte ihnen jedoch mittelbar entnommen werden. Nachdem Verbraucher mit der Zahlung der monatlichen Raten Schwierigkeiten hatten, erhoben sie Klage vor der französischen Gerichtsbarkeit. Eine der Kernfragen war hierbei, ob Klauseln der Darlehensverträge, die den Verbrauchern einem unbegrenzten Wechselkursrisiko aussetzen, als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG) anzusehen sind. Wäre dies der Fall, wären diese nicht bindend und als von Anfang nicht existent anzusehen.
Der EuGH stellte auf Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de grande instance de Paris fest, dass der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel keiner Verjährungsfrist unterliegt, weil sie bei Missbräuchlichkeit als von Anfang an nicht existent anzusehen ist. Allerdings kann aus Sicht des EuGH national eine Verjährungsfrist vorgesehen werden für eine Klage, mit der die Erstattung geltend gemacht wird, die aus einer Missbräuchlichkeitsfeststellung herrührt. Die Gestaltung darf aber nicht so sein, dass die Verjährungsfrist für die Rückerstattung bereits abgelaufen ist, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel Kenntnis zu nehmen.
Aus Sicht des EuGH ist es nicht transparent, wenn dem Verbraucher bei Vertragsschluss zahlreiche Informationen übermittelt werden, sofern diese auf der Hypothese beruhen, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die ganze Laufzeit des Vertrages stabil bleiben wird. Angesichts der Kenntnisse der gewerbetreibenden Vertragspartei zum vorhersehbaren wirtschaftlichen Kontext sowie der besseren Mittel, über die die gewerbetreibende Partei zur Vorhersehung des Wechselkursrisikos verfüge, und eines beträchtlichen Wechselkursschwankungsrisikos erkannte der EuGH, dass derartige Klauseln zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien aus dem Darlehensvertrag verursachen können.
(7) Individuelle Schiedsvereinbarungen: Schlussanträge von Frau Generalanwältin Kokott vom 22.04.2021, Rs. C-109/20
In ihren Schlussanträgen in der Sache Republik Polen gegen PL Holdings Sàrl hatte sich Frau Generalanwältin Kokott mit der Frage zu befassen, inwieweit die sogenannte Achmea-Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich einer allgemeinen Schiedsklausel in Investitionsabkommen zwischen Mitgliedstaaten zugunsten von Investoren auch auf eine individuelle Schiedsvereinbarung eines EU-Mitgliedstaats mit einem Investor Anwendung finden soll. Konkret hatte der EuGH in Sachen Achmea (Urteil vom 06.03.2018, Rs. C 284/16) festgestellt, dass Schiedsklauseln zugunsten von Investoren in Investitionsabkommen zwischen Mitgliedstaaten mit EU-Recht unvereinbar sind. Andererseits zeigt die Generalanwältin in ihren nunmehrigen Schlussanträgen auf, dass der EuGH auf Privatautonomie beruhende Regelungen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit zumindest in einem gewissen Umfang akzeptiert (Urteile Nordsee Rs. C-102/81 und Eco Swiss Rs. C-126/97), jedenfalls wenn die betroffenen EU-Regelungen nicht grundlegender Natur sind. Den nunmehrigen Ausgangsfall zwischen einem Mitgliedstaat und einem privaten Investor sieht die Generalanwältin im Gegensatz dazu nicht als gleichgeordneten Handelsstreit an, sondern betont den Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse. In der Folge spricht sie sich zugunsten einer umfassenden EU-Rechtskontrolle aus und damit für eine Anwendung der Achmea-Grundsätze auch auf die nun betrachteten Fallkonstellationen. Abzuwarten bleibt, ob der EuGH diesem Votum folgen wird.
(8) Europäisches Datenschutzrecht: Neue DSGVO-Standardvertragsklauseln
Die Europäische Kommission hat neue Standardvertragsklauseln beschlossen, die am 04.06.2021 im Amtsblatt veröffentlicht worden sind (ABlEU L 199, S. 18 ff). Insbesondere gehören hierzu auch solche Musterklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer (S. 31 ff.) – ein Thema, das vor allem im Anschluss an das EuGH-Urteil in Sachen Schrems II vom 16.07.2020 (Rs. C-311/18) noch einmal besondere Beachtung gefunden hat, als der EuGH die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA nicht länger auf der Grundlage des sogenannten Privacy Shield als zulässig erachtete. Es besteht nun eine 18-monatige Übergangsfrist, um Verträge aus der Vergangenheit zu ersetzen. Es stehen vier Module zur Verfügung, und zwar Modul I (Übermittlung von Verantwortlichen an Verantwortliche), Modul II (Übermittlung von Verantwortlichen an Auftragsverarbeiter), Modul III (Übermittlung von Auftragsverarbeitern an Auftragsverarbeiter), Modul IV (Übermittlung von Auftragsverarbeitern an Verantwortliche). Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) geht jedoch in einer Mitteilung vom 21.06.2021 wie auch der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) davon aus, dass trotz dieser neuen EU-Standardvertragsklauseln eine Prüfung der Rechtslage im Drittland nötig ist. Gegebenenfalls sind zusätzlich ergänzende Maßnahmen erforderlich.
(9) Betrieblicher Datenschutzbeauftragter: Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 27.04.2021, Az. 9 AZR 383/19 (A) an den EuGH
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde mit der Frage konfrontiert, ob ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter, der zugleich Betriebsratsvorsitzender ist, angesichts des Inkrafttretens der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) von seinem Amt als Datenschutzbeauftragter abberufen werden durfte. Aus Sicht des deutschen Rechts ist für die Abberufung ein wichtiger Grund erforderlich. Die Voraussetzungen nach Europäischem Recht, Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO, sind dagegen großzügiger und verhindern eine Abberufung lediglich dann, wenn sie wegen der Aufgabenerfüllung des Datenschutzbeauftragten vorgenommen wird. Das BAG sah nach dem deutschen Recht keinen wichtigen Grund für eine Abberufung und möchte deshalb nun vom EuGH wissen, ob diese nationalen Regelungen neben der europäischen Regelung anwendbar sind und ob damit die Möglichkeit der Abberufung eines Datenschutzbeauftragten gegenüber unionsrechtlichen Regelungen eingeschränkt werden darf. Sollte dies der EuGH ebenso sehen, stellt sich aus Sicht des BAG auch noch die Frage, ob die Ämter des Betriebsratsvorsitzenden und des Datenschutzbeauftragten in einem Betrieb in Personalunion ausgeübt werden dürfen oder ob stattdessen ein Interessenskonflikt im Sinne von Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO vorliegt.
(10) Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht oder Kompetenzüberschreitung? Mitteilung der Kommission vom 09.06.2021 über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die Europäische Kommission hat gemäß einer von ihr ausgereichten Mitteilung vom 09.06.2021 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Deutschland hat hierbei zwei Monate Zeit, um der Kommission zu antworten. Hintergrund hierfür ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.05.2020, mit dem das höchste deutsche Gericht das vom EuGH gebilligte Staatsanleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank teilweise als verfassungswidrig eingestuft und insoweit die Rechtswirkung in Deutschland abgesprochen hat. Die Kommission wirft Deutschland vor, dadurch gegen den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts verstoßen und insbesondere den Grundsätzen der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts nicht Genüge getan zu haben. Das BVerfG nimmt dagegen für sich in Anspruch, im Rahmen seiner Rechtsprechung auch zu prüfen, ob Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU die Grenzen ihrer Kompetenzen überschreiten (sog. „ultra vires“-Doktrin). Solche Grenzen resultieren nach seiner Ansicht, auch für den EuGH, aus dem sogenannten „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“. Nach diesem in Art. 5 EUV niedergelegten Grundsatz wird die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der EU nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten. Die Abgrenzung kann sich im Einzelfall als sehr schwierig erweisen und gibt Raum für viele zusätzliche Rechtsgutachten, vorausgesetzt, dass das Vertragsverletzungsverfahren die Meinungsverschiedenheiten zwischen nationaler und europäischer Ebene nicht ein für alle Mal beseitigen kann – davon ist eher nicht auszugehen.
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt
Dr. Thomas M. Grupp
Maître en droit (Aix-Marseille III)
Tel.: +49 (0) 711/22744-69
tg@haver-mailaender.de