Europarechts-News Juli-August 2024_Spezialedition zu Lieferketten, ESG, Taxonomie und Nachhaltigkeit
Europarechts-News_EditionJuli-August 2024.pdf
Inhalt:
1. Environmental, Social and Governance (ESG)
2. Europäische Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Direc-tive, CSDDD)
3. EU-Entwaldungsverordnung (EU Deforestation Regulation, EUDR)
4. Taxonomie-Verordnung (TaxVO)
5. Delegierte Richtlinie (EU) 2023/2775 vom 17.10.2023 zur Änderung der Bilanzrechts-richtlinie (2013/34/EU) durch Anpassung der Größenkriterien für Kleinstunterneh-men und für kleine, mittlere und große Unternehmen oder Gruppen
6. Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)
7. European Sustainability Reporting Standards (ESRS)
8. Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR)
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Dr. Thomas M. Grupp
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Europarechts-News März 2024
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Europarechts-News Dezember 2023
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Europarechts-News Juli 2023
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Europarechts-News Mai 2023
Inhalt: Wettbewerbsrecht (vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor, Revidierte Leitlinien), Bankrecht (gemeinsame Einlagensicherung, Bankenabwicklung), Regulierung der Märkte für Kryptowerte, Datenschutzrecht (Abberufung von Datenschutzbeauftragten), Beihilferecht (Kraft-Wärme-Koppelung).
(1) Wettbewerbsrecht: Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor verlängert und Revision der Ergänzenden Leitlinien
Die Europäische Kommission hat die Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor (VO (EU) Nr. 461/2010) um fünf Jahre bis zum 31.05.2028 verlängert (VO (EU) 2023/822 vom 17.04.2023). Zudem erfolgte eine Revision der Ergänzenden Leitlinien. Damit soll der Kfz-Branche größere Sicherheit zuteilwerden, wie vertikale Vereinbarungen vor dem Hintergrund des EU-Wettbewerbsrechts in rechtlicher Hinsicht zu beurteilen sind.
Vor allem hat es die technische Entwicklung mit einer stärkeren Digitalisierung von Pkws mit sich gebracht, dass den fahrzeuggenerierten Daten künftig in viel stärkerem Ausmaß Beachtung beizumessen ist. Auf solche Daten sollen nicht nur Hersteller der Pkws zugreifen können, sondern auch unabhängige Marktteilnehmer wie freie Werkstätten, Ersatzteilhersteller, Automobilclubs u.a. für die Erbringung von Service-Leistungen, für die Instandsetzung, für die Wartung oder beispielsweise auch für die Herstellung von Ersatzteilen oder Werkzeugen. Der Zugang unabhängiger Marktteilnehmer zu technischen Informationen wurde daher zum Zugang zu wesentlichen Inputs erweitert, die vor allem auch die fahrzeuggenerierten Daten mitumfassen.
Wird in Erwägung gezogen Input, das für die Instandsetzung und Wartung von wesentlicher Bedeutung ist, anderen Marktteilnehmern aus Sicherheitsgründen vorzuenthalten, muss zunächst eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden.
Ausführlichere Hinweise für den Prüfungsmaßstab der Europäischen Kommission sind in den revidierten Leitlinien nunmehr auch für Vereinbarungen zu finden, die sogenannte Kernbeschränkungen als schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen enthalten. Der Text der revidierten Leitlinien knüpft hierbei vor allem an Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen an.
(2) Bankrecht: Reform des Krisenmechanismus im Bankensektor und europäische Einlagensicherung
Die Europäische Kommission unternimmt erneut einen Versuch, die Bankenunion in der EU einer Vollendung zuzuführen. Sie hat zu diesem Zweck am 18. April 2023 ein Paket zur Reform des Krisenmanagements im Bankensektor und der Einlagensicherung vorgelegt. Geändert werden sollen formal die europäische Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (2014/59/EU), die europäische Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (806/2014) sowie die europäische Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (2014/49/EU).
Aus Sicht der Europäischen Kommission sind letztlich europaweit betrachtet mittlere und kleinere Banken zu selten abgewickelt worden, weil hier häufig auf Mechanismen zurückgegriffen wurde, die außerhalb des harmonisierten Abwicklungsrahmens lagen. Dies solle sich künftig ändern.
In Deutschland sind insbesondere Sparkassen und Genossenschaftsbanken aufgeschreckt, ob damit verbunden wiederum das bewährte Drei-Säulen-Modell und ihre eigenen Institutseinlagensicherungssysteme in Frage gestellt werden sollen. In einem von der Kommission vorgelegten Fragen- und Antwortkatalog wird ausgeführt:
„Um Engpassrisiken bei nationalen Einlagensicherungssystemen möglichst nachhaltig zu verringern, bietet sich nach wie vor eine Vergemeinschaftung solcher Systeme auf gesamteuropäischer Ebene an, da diese dann besser gegen eine Erschöpfung der Mittel gerüstet wären. In den aktuellen Vorschriften ist die Möglichkeit vorgesehen, dass nationale Einlagensicherungssysteme sich gegenseitig auf freiwilliger Basis Kredite gewähren. In Ermangelung einer politischen Einigung über die Einrichtung eines europäischen Einlagenversicherungssystems kann die heutige Reform die Gefahr von Engpässen bei nationalen Einlagensicherungssystemen allerdings nicht vollständig ausschließen. Nach Angaben der EZB gibt es in jedem Mitgliedstaat mindestens eine mittlere oder kleine Bank, bei der im Falle der Erstattung der gedeckten Einlagen das nationale Einlagensicherungssystem vollständig erschöpft würde. Die größte Gefahr von Engpässen bei Einlagensicherungssystemen geht daher von Auszahlungen im Falle einer Liquidation aus.“
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Institutssicherungssysteme der Kreditwirtschaft aus Österreich, Deutschland, Italien, Polen und Spanien umgehend zu Wort gemeldet. Sie verlangen für die weiteren Verhandlungen über das Gesetzespaket, dass die Funktionsfähigkeit ihrer Systeme auch bei einer Reform des Krisenmechanismus aufrechterhalten bleibt. Sie fordern ganz im Rahmen des auch vom EU-Recht ausdrücklich anerkannten und justitiablen Subsidiaritätsgedankens, dass Maßnahmen ihrer Sicherungssysteme weiterhin Vorrang vor Maßnahmen einer Abwicklungsbehörde haben müssen. Zudem müsse bei der Anwendung von Präventivmaßnahmen zwischen reinen Einlagensicherungssystemen und solchen Einlagensicherungssystemen unterschieden werden, die unter EU-Recht als Institutssicherungssysteme anerkannt seien. Für letztere sollten die derzeitigen Bestimmungen über die Verwendung der Mittel aus der Finanzierung von Einlagensicherungssystemen beibehalten werden (Art. 11 der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme).
Jedenfalls soll nach Plänen der EU die Deckungshöhe von 100.000 € pro Person und Institut für einen Einlagenschutz bestehen bleiben, in Ausnahmefällen etwa bei bestimmten Ereignissen wie z.B. Erbschaft soll dieser auch darüber hinausreichen. Auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sollen vom Einlegerschutz profitieren können.
(3) Crypto Assets: EU-weite Regulierung der Märkte für Kryptowerte (Markets in Crypto Assets – MiCA)
Das Europäische Parlament hat am 20. April 2023 in erster Lesung einen Regelungsrahmen in Form einer europäischen Verordnung für Kryptowerte einschließlich Kryptowährungen gebilligt. Geläufig ist das Regelungsinstrument unter dem englischen Begriff Markets in Crypto-Assets = MiCA Verordnung. Bei Zustimmung durch den Rat und Verkündung im EU-Amtsblatt gelten damit EU-weite Regelungen für Kryptowerte, die nicht schon von den bestehenden Regeln im Finanzdienstleistungssektor erfasst werden. Nach Maßgabe der vorgesehenen Bestimmungen sollen Krypotwertetransaktionen reguliert werden, eine stärkere Transparenz soll greifen. Vorgesehen sind insbesondere Regelungen über die Aufsicht, den Verbraucherschutz und den Umweltschutz. Die Bekämpfung der Kriminalität und der Geldwäsche im Besonderen sind ein wesentliches Ziel der vorgesehenen Regelungen. Um einen Anreiz zu schaffen, den Energieverbrauch bei der Schaffung und dem Einsatz von Kryptowährungen so weit wie möglich in Grenzen zu halten, ist eine Pflicht für wichtige Dienstleister vorgesehen, ihren Energieverbrauch offenzulegen. Transaktionen von Emittenten und Händlern von Kryptowerten werden künftig nach Maßgabe der neuen Bestimmungen überwacht. Verschiedene Dienstleister im Kryptowertebereich benötigen eine Genehmigung, können dann aber auch über die Landesgrenzen hinweg in der gesamten EU tätig sein. Mit einem Inkrafttreten der beabsichtigten Verordnung kann im Juni 2023 gerechnet werden.
(4) Datenschutzrecht: EuGH, Urt. vom 09.02.2023. C-453/21 (X-FAB Dresden GmbH & Co. KG ./. FC): Abberufung von Datenschutzbeauftragten
Aus deutscher Sicht große Aufmerksamkeit fand ein Verfahren vor dem EuGH, das die Abberufung von Datenschutzbeauftragten betraf. Hintergrund des Vorlageverfahrens des Bundesarbeitsgerichts war, dass ein Datenschutzbeauftragter nach Art. 38 Abs. 3 S. 2 der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) „von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden“ darf. Im nationalen deutschen Recht verweist § 6 Abs. 4 S. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) stärker einschränkend darauf, dass die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten nur entsprechend § 626 BGB zulässig ist, das heißt es müsste ein wichtiger Grund im Sinne dieser Norm vorliegen, auf den nach BGB eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gestützt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Abberufenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung der Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Bestellungsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Der EuGH entschied in seinem Urteil vom 09.02.2023, dass die europarechtliche Norm des Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO einer strengeren nationalen Norm nicht entgegensteht, sofern die nationale Norm nicht die Verwirklichung der Ziele der DSGVO beeinträchtigt. Dies hat wiederum ein nationales Gericht sicherzustellen.
Zudem äußerte sich der EuGH zum Verständnis des Art. 38 Abs. 6 DSGVO. Danach kann der Datenschutzbeauftragte andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter hat dabei sicherzustellen, dass derartige Aufgaben und Pflichten nicht zu einem Interessenkonflikt führen. Nach Auffassung des EuGH kann ein „Interessenkonflikt“ dann bestehen, wenn einem Datenschutzbeauftragten andere Aufgaben oder Pflichten übertragen werden, die ihn dazu veranlassen würden, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten bei dem Verantwortlichen oder seinem Auftragsverarbeiter festzulegen. Auch dies ist wiederum näher durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zu prüfen.
(5) Beihilfenrecht: Anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gericht, Az. T-409/21: Bundesrepublik Deutschland ./. Europäische Kommission in Sachen Kraft-Wärme-Koppelung
Mit Beschluss vom 3. Juni 2021 hatte die Europäische Kommission verschiedene von Deutschland – ggf. vorsorglich – notifizierte Änderungen beim Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz (KWKG) gebilligt (Staatliche Beihilfe SA.56826 (2020/N) – Deutschland – Reform 2020 der Regelung zur Förderung der Kraft-Wärme-Koppelung und Staatliche Beihilfe SA.53308 (2019/N) – Deutschland – Änderung der Förderregelung für bestehende KWK-Anlagen (§ 13 KWKG)).
Die Bundesrepublik Deutschland wandte sich daraufhin mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gericht gegen diesen Beschluss, soweit „a) die Förderung der Erzeugung von KWK-Strom in neuen, modernisierten und nachgerüsteten hocheffizienten KWK-Anlagen, b) die Unterstützungen die Förderung von energieeffizienten Wärme- und Kältenetzen, c) die Förderung von Wärme- und Kältespeichern; d) die Förderung der Erzeugung von KWK-Strom in hocheffizienten gasbefeuerten KWK-Bestandsanlagen im Fernwärmesektor und e) die reduzierte KWKG-Umlage für die Hersteller von Wasserstoff nach dem KWKG 2020“ als staatliche Beihilfen angesehen werden.
In dem Verfahren wurde am 4. Mai 2023 vor dem Europäischen Gericht mündlich verhandelt. Deutschland ist hierbei der Ansicht, dass die Kommission Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU falsch ausgelegt und angewandt hat. Nach dieser Norm sind, wenn in den europäischen Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Im Einzelnen hält Deutschland der Kommission entgegen, dass allein der Abgabencharakter einer (KWKG-)Umlage noch keine Staatlichkeit der vereinnahmten Mittel impliziere. Zudem stellten weder die KWKG-Umlage nach dem KWKG 2020 noch die den Anlagebetreibern von den Netzbetreibern gezahlten Zuschläge eine Abgabe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung dar. Weiterhin geht Deutschland davon aus, dass Mittel, die von den Übertragungsnetzbetreibern vereinnahmt werden, nicht unter staatlicher Kontrolle und dem Staat zur Verfügung stehen.
Die Entscheidung aus Luxemburg ist mit Spannung zu erwarten, da die aufgeworfenen Fragen grundsätzlicherer Natur sind und angesichts der häufigen Änderungen des KWKG und sonstiger Normen im Energierecht nicht unerhebliche Auswirkungen haben können, wie weitreichend hier nationale Gestaltungsspielräume bei Förderungsmaßnahmen sind, ohne das Risiko einer Europarechtswidrigkeit einzugehen.
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Europarechts-News Juni 2022
Inhalt: Wettbewerbsrecht (Inkrafttreten der neuen vertikalen Gruppenfreistellungsbestimmungen zum 01.06.2022; Konsultationsprozess zu horizontalen Gruppenfreistellungsbestimmungen; Strommarktliberalisierung)
(1) Wettbewerbsrecht – Neue vertikale Gruppenfreistellungsverordnung und neue vertikale Leitlinien sowie öffentliche Konsultation zu horizontalen Freistellungen
Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sieht in Art. 101 Abs. 1 u.a. das Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen vor, die den Wettbewerb beschränken. Ausnahmen davon legt Abs. 3 fest, insbesondere wenn sie unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne den Wettbewerb auszuschalten. Unterschieden wird hier zwischen vertikalen und horizontalen Vereinbarungen:
A. Vertikale Vereinbarungen
Eine vertikale Vereinbarung ist nach der einschlägigen EU-Definition eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise jeweils auf einer anderen Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.
Zur Konkretisierung der Regelungen für vertikale Vereinbarungen veröffentlichte die Europäische Kommission am 10.05.2022 die schon lange erwartete neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen („Vertikal-GVO“). Mit dieser wurde nunmehr zum 01.06.2022 die bisher gültige Verordnung abgelöst. Ergänzt wird die neue Vertikal-GVO durch neue Vertikal-Leitlinien. Mit den Neuregelungen und den neuen Interpretationshilfen soll u.a. dem zunehmenden E-Commerce Rechnung getragen werden.
Vorausgegangen ist diesen Neufassungen ein Evaluierungsprozess und eine öffentliche Konsultation. Für die Vertragspraxis ergeben sich nun aufgrund der neugefassten GVO und den Leitlinien folgende wesentliche Neuerungen:
• Im dualen Vertrieb, wenn ein Anbieter Waren nicht nur über unabhängige Vertriebshändler, sondern im Wettbewerb dazu auch direkt an Endkunden vertreibt, bleibt ein Informationsaustausch zwar unter gewissen Bedingungen zulässig, allerdings mit stärkeren Einschränkungen als bisher. Dies gilt auch für Hybridplattformen. Dagegen kommt nun auch eine Ausdehnung der Freistellung des Doppelvertriebs auf Großhändler und Importeure in Betracht.
• Einschränkungen hinsichtlich einer Freistellung sind auch in Bezug auf sogenannte Paritätsverpflichtungen auszumachen. Bei Paritätsklausen werden Verkäufer dahingehend verpflichtet, ihren Vertragspartnern Bedingungen anzubieten, die den Bedingungen der Vertriebskanäle Dritter (wie anderen Plattformen) und/oder den Bedingungen der Direktvertriebskanäle des Verkäufers (wie seinen Websites) entsprechen oder besser sind. Auch in solchen Fällen kann nicht mehr durchgehend eine Berufung auf eine GVO-Freistellung erfolgen; die Sachverhalte müssen dann einzeln nach Artikel 101 AEUV geprüft werden.
• Andererseits kommt eine GVO-Freistellung in stärkerem Maße als bislang in Betracht hinsichtlich bestimmter Beschränkungen der Möglichkeit eines Abnehmers, sich aktiv an einzelne Kunden zu wenden (aktiver Verkauf).
• Außerdem werden Doppelpreissysteme nunmehr nicht mehr einfach als Kernbeschränkungen angesehen etwa in Fällen, in denen gegenüber demselben Händler für den Internetvertrieb und den terrestrischen Vertrieb unterschiedliche Großhandelspreise in Rechnung gestellt und für den Online- und Offline-Vertrieb in selektiven Vertriebssystemen unterschiedliche Kriterien festgelegt werden.
Weitere Details und Fallgruppen ergeben sich aus den Leitlinien sowie aus einem zusammenfassenden Vermerk der Europäischen Kommission (Internet-Link: https://ec.europa.eu/competition-policy/system/files/2022-05/explanatory_note_VBER_and_Guidelines_2022.pdf).
B. Horizontale Vereinbarungen
Horizontale Vereinbarungen betreffen dagegen das Verhältnis zwischen Unternehmen derselben Produktions- oder Vertriebsstufe. Hinsichtlich solcher horizontaler Vereinbarungen hatte die Europäische Kommission am 01.03.2022 die interessierten Kreise im Rahmen einer öffentlichen Konsultation aufgefordert, bis zum 26. April 2022 Stellung zu nehmen zu zwei im Entwurf vorgelegten überarbeiteten horizontalen Gruppenfreistellungsverordnungen – und zwar zum einen für den Bereich Forschung und Entwicklung (FuE-GVO), zum anderen für Spezialisierungsvereinbarungen (Spezialisierungs-GVO). Ergänzend hierzu sollen die Horizontal-Leitlinien überarbeitet werden. Unter anderem soll nach Aussagen der Europäischen Kommission Unternehmen eine leichtere Zusammenarbeit in Bereichen wie FuE und Produktion ermöglicht werden durch klarere Formulierungen und die Aufnahme neuer Erläuterungen sowie eine geringfügige Ausweitung des Anwendungsbereichs der Spezialisierungs-GVO.
FuE-Vereinbarungen, die völlig neue Produkte, Technologien und Verfahren betreffen und FuE-Anstrengungen, die auf ein spezifisches Ziel, aber noch nicht konkret auf ein Produkt oder eine Technologie ausgerichtet sind, sollen nach den Plänen der EU-Kommission nur dann von den EU-Wettbewerbsvorschriften ausgenommen werden, wenn genügend vergleichbare konkurrierende FuE-Anstrengungen bestehen. Die Bewertung der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen in Vereinbarungen soll in einem neuen Kapitel Aufnahme finden. Neu gefasst werden sollen auch die Erläuterungen insbesondere zum heiklen Thema eines Datenaustausches. Abzuwarten bleibt, welche Änderungen oder Ergänzungen der Regelungstexte vor einer Verabschiedung noch erfolgen werden.
(2) Wettbewerbsrecht – Marktliberalisierung: Urteil des EuGH vom 12.05.2022, Rs. C 377/20 (Servizio Elettrico Nazionale)
In diesem Fall wurden dem EuGH Vorlagefragen aus Italien unterbreitet vor dem Hintergrund einer schrittweisen Liberalisierung des dortigen Strommarktes. In einem ersten Schritt wurde zwischen Kunden des geschützten Marktes, zu dem vor allem Privatleute und kleinere Unternehmen zählen, und sonstigen Kunden unterschieden. Beim geschützten Markt handelte es sich um ein reguliertes System mit einem besonderen Preisschutz. In einem zweiten Schritt sollten dann auch die Kunden des geschützten Marktes am freien Markt teilnehmen können.
Im Zuge der Liberalisierung wurden die Erzeugungs- und Verteilungstätigkeiten des ehemaligen Strommonopolisten ENEL entflochten („unbundling“) mit Vergabe verschiedener Phasen des Verteilungsprozesses an unterschiedliche Tochtergesellschaften. Nach einer Untersuchung stellte die italienische Kartellbehörde den Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Tochtergesellschaften, koordiniert durch ihre Muttergesellschaft ENEL, über einen bestimmten Zeitraum fest und verhängte ein gesamtschuldnerisches Bußgeld. Der erhobene Vorwurf bestand darin, dass eine der Tochtergesellschaften versucht haben soll, ihre Kunden aus dem Bereich des geschützten Marktes in wettbewerbswidriger Weise auf eine andere Tochtergesellschaft überzuleiten, die auf dem freien Markt tätig ist. ENEL und die beiden Tochtergesellschaften erhoben Klage, wobei sich im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens der italienische Staatsrat mit Vorlagefragen zu Verdrängungspraktiken an den EuGH wandte.
Der EuGH sah das durch Art. 102 AEUV geschützte Interesse vor dem Hintergrund des dort angeordneten Verbots des missbräuchlichen Ausnutzens einer marktbeherrschenden Stellung im Wohl der Verbraucher. Nachweisen müsse eine Wettbewerbsbehörde, dass eine Verhaltensweise eines Unternehmens in marktbeherrschender Stellung durch den Einsatz von Mitteln oder Ressourcen, die von denen eines normalen Wettbewerbs abweichen, in eine Struktur wirksamen Wettbewerbs eingreifen kann. Auch die Möglichkeit der Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung ist nachzuweisen. Die Beweislast reicht aber nicht soweit, dass sie auch den Nachweis der Geeignetheit der beanstandeten Verhaltensweisen mitumfasst, den Verbrauchern einen unmittelbaren Schaden zuzufügen. Das herrschende Unternehmen kann dagegen den Nachweis führen, dass eine etwaige Verdrängungswirkung aus seiner Verhaltensweise durch positive Auswirkungen auf die Verbraucher ausgeglichen oder sogar übertroffen wird.
Aus Sicht des EuGH ist die Beurteilung einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis eines Unternehmens in beherrschender Stellung auf der Grundlage der Eignung dieser Praxis zu beurteilen, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten. Dagegen muss eine Wettbewerbsbehörde nicht die Absicht des betreffenden Unternehmens nachweisen, seine Wettbewerber durch andere Mittel als die des Leistungswettbewerbs zu verdrängen.
Bei Verlust eines gesetzlichen Monopols muss ein Unternehmen während der gesamten Marktliberalisierung davon Abstand nehmen, auf solche Mittel zurückzugreifen, über die es aufgrund seines früheren Monopols verfügte und die seinen Mitwettbewerbern nicht zur Verfügung stehen.
Der EuGH hatte sich schließlich auch noch mit der Frage zu befassen, inwieweit das Verhalten einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann: Liegt eine beherrschende Stellung einer oder mehrerer Tochtergesellschaften vor, die einer wirtschaftlichen Einheit angehören, und wird diese Stellung missbräuchlich ausgenutzt, so reicht das Bestehen dieser Einheit für die Annahme aus, dass auch die Muttergesellschaft für diesen Missbrauch verantwortlich ist. Hier greift eine Vermutungswirkung, wenn zum relevanten Zeitpunkt zumindest nahezu das gesamte Kapital dieser Tochtergesellschaften unmittelbar oder mittelbar von der Muttergesellschaft gehalten wurde.
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Europarechts-News Juni/Juli 2021
(1) Europäisches Kartellrecht: Unangekündigte Nachprüfungen der Europäischen Kommission bei einem Bekleidungsunternehmen am 22.06.2021
Im Falle mutmaßlicher Verstöße gegen das EU-Kartellrecht kann die Kommission unangekündigte Nachprüfungen durchführen. Zu dieser Vorgehensweise sah sich die Kommission laut einer Pressemitteilung am 22.06.2021 bei einem deutschen Unternehmen der Bekleidungsindustrie veranlasst. Für das Unternehmen gilt bis auf weiteres die Unschuldsvermutung. Es hat das Recht, sich zu verteidigen und im Laufe des Verfahrens gehört zu werden. Eine feste Frist, binnen derer die Untersuchungen abgeschlossen sein müssen, gibt es nicht. Nachdem die Corona-Zahlen zurückgehen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission in Zukunft wieder verstärkt zu solchen Maßnahmen greift, wenn der Verdacht eines kartellrechtswidrigen Verhaltens besteht. Unternehmen sollten auf eine strikte Beachtung der kartellrechtlichen Vorgaben achten und im Bedarfsfall frühzeitig entsprechende Fachexpertise einbinden.
(2) Haftung für wettbewerbswidriges Verhalten: Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in Sachen Sumal, S. L. gegen Mercedes Benz Trucks España S. L., Rs. C-882/19 vom 15.04.2021
In dem beim EuGH anhängigen Fall „Sumal“ hatte sich Generalanwalt Pitruzzella zur Frage zu äußern, inwieweit eine Tochtergesellschaft dazu verpflichtet sein kann, Schäden zu ersetzen, die durch wettbewerbswidriges Verhalten der Muttergesellschaft als alleinige Adressatin der von der Kommission verhängten Geldbuße entstanden sind. Der Generalanwalt nahm hierbei die sogenannte Theorie der wirtschaftlichen Einheit als Ausgangspunkt und betrachtete zum einen die Voraussetzungen, die für eine aufsteigende Haftung der Muttergesellschaft für wettbewerbswidriges Verhalten ihrer Tochtergesellschaften entscheidend wären. Nebst einer wirtschaftlichen Einheit ist hierfür vor allem ein bestimmender Einfluss der Muttergesellschaft erforderlich. Einen solchen bestimmenden Einfluss übe die Tochtergesellschaft aber nicht im Falle des Szenarios einer Haftung für das Verhalten der Muttergesellschaft aus. Allerdings sei der bestimmende Einfluss hierbei eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit. Eine Haftung der Tochter komme nun in Betracht, wenn die Tätigkeit der Tochtergesellschaft gewissermaßen für die Verwirklichung des wettbewerbswidrigen Verhaltens erforderlich sei, weil sie zum Beispiel kartellbefangene Güter verkauft habe. Für eine absteigende Haftung müsse die Tochtergesellschaft im selben Bereich tätig sein, in dem die Muttergesellschaft das wettbewerbswidrige Verhalten an den Tag gelegt habe und durch ihr Marktverhalten die Konkretisierung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung ermöglicht hätten. Tochter- und Muttergesellschaft hafteten dann gesamtschuldnerisch. Der Geschädigte habe die Wahl, welche Gesellschaft er in Anspruch nehme. Der Entscheidung des EuGH ist nun entgegenzusehen.
(3) Beihilferecht: Urteil des EuG in Sachen Dansk Erhverv ./. Kommission vom 09.06.2021, Rs. T-47/19 (Nichterhebung von Getränkepfand im Grenzgebiet)
Werden Getränke in Einwegverpackungen im Grenzgebiet ausschließlich an Kunden in Dänemark verkauft mit der einzugehenden Verpflichtung, diese außerhalb Deutschlands zu konsumieren und deren Verpackungen zu entsorgen, so sollte nach Ansicht von Behörden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern keine Pflicht zur Pfanderhebung wie in anderen Fällen bestehen. Dies sah ein dänischer Berufsverband als rechtswidrig an und berief sich auf eine Beihilfe, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist. Die Europäische Kommission gab seiner daraufhin eingelegten Beschwerde aber nicht statt, so dass sich der Verband dagegen mittels einer Nichtigkeitsklage an das Europäische Gericht wandte. In einem Urteil vom 09.06.2021 erklärte das (erstinstanzliche) Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig. Vor allem beanstandete das Gericht, dass die Kommission die für eine Beihilfe erforderliche Voraussetzung „staatliche Mittel“ ohne Prüfung verneint hatte, ob Auslegungsschwierigkeiten, auf die sie sich stützte, nur vorübergehend und der schrittweisen Klärung der Vorschriften inhärent waren.
(4) Beihilferecht: Urteil des EuG in Sachen Ryanair ./. Europäische Kommission vom 09.06.2021, Rs. T-665/20 (Entschädigung für Condor)
Das Urteil zum Beihilferecht vom 09.06.2021 auf Betreiben von Ryanair wegen gewährter Entschädigungen an Condor enthält eine ausführliche Anleitung, unter welchen Umständen Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, gewährt werden können. So müssen Beihilfemaßnahmen geeignet sein, den durch außergewöhnliche Ereignisse verursachten Schaden zu beseitigen und die Höhe des Ausgleichs muss auf das beschränkt werden, was erforderlich ist, um gerade den Schaden auszugleichen, der den durch die betreffende Maßnahme Begünstigten entstanden ist. Zudem bedarf es eines besonders zu prüfenden Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden aus dem fraglichen Ereignis ohne vom Hinzutreten anderer Ursachen abzuhängen. Die Kommission muss hierbei ihre Beschlüsse genau erläutern, damit dies nachvollziehbar ist. Dies sah das EuG im konkreten Fall in wesentlichen Punkten nicht als gewährleistet an.
(5) Produkthaftungsrecht: Urteil des EuGH vom 10.06.2021, Rs. C-65/20 – Krone-Verlag (Kräuterpfarrer Benedikt)
Aus Wien wurde ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH herangetragen, ob eine Tageszeitung, die in einer täglichen Kolumne eine unzutreffende Gesundheitsempfehlung eines unabhängigen Zeitungskolumnisten veröffentlicht hat, auf der Grundlage dessen verklagt werden kann, dass sie ein fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) vertrieben habe. Im konkreten österreichischen Fall hatte eine Leserin der Kronen-Zeitung vorgebracht, sie habe dadurch, dass sie der Empfehlung des „Kräuterpfarrers Benedikt“ gefolgt sei, einen Schaden an ihrer Gesundheit erlitten. Statt eine Kren-/Meerrettichauflage bei Rheumaschmerzen gemäß dem Beitrag von zwei bis fünf Stunden anzubringen, wären zwei bis fünf Minuten korrekt gewesen. Der EuGH verneinte eine verschuldensunabhängige Haftung des Zeitungsverlags. Ein Exemplar einer gedruckten Zeitung sei nicht als ein fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie anzusehen, weil es nicht um einen dem körperlichen Produkt selbst innewohnenden Fehler gehe, sondern um eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit des geistigen Inhalts, im konkreten Fall in Bezug auf eine Dienstleistung. Allerdings sei dadurch noch nicht gesagt, dass nicht andere Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung anwendbar sein könnten, die wie die Haftung für verdeckte Mängel oder für Verschulden auf anderen Grundlagen beruhten.
(6) Fremdwährungsdarlehen für Verbraucher: Urteile des EuGH in Sachen BNP Paribas Personal Finance vom 10.06.2021, Rs. C-776/19; C-777/19; C-778/19; C-779/19; C-780/19; C-781/19; C-782/19
Der Sachverhalt dieser Urteile reicht in die Jahre 2008 und 2009 zurück. Verbraucher hatten seinerzeit bei der BNP Paribas Personal Finance Hypthekendarlehen aufgenommen zum Erwerb von Immobilien oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften. Die Darlehen lauteten auf Schweizer Franken, waren aber in Euro rückzahlbar. Zwar war das Wechselkursrisiko in den Darlehensverträgen nicht ausdrücklich erwähnt, es konnte ihnen jedoch mittelbar entnommen werden. Nachdem Verbraucher mit der Zahlung der monatlichen Raten Schwierigkeiten hatten, erhoben sie Klage vor der französischen Gerichtsbarkeit. Eine der Kernfragen war hierbei, ob Klauseln der Darlehensverträge, die den Verbrauchern einem unbegrenzten Wechselkursrisiko aussetzen, als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG) anzusehen sind. Wäre dies der Fall, wären diese nicht bindend und als von Anfang nicht existent anzusehen.
Der EuGH stellte auf Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de grande instance de Paris fest, dass der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel keiner Verjährungsfrist unterliegt, weil sie bei Missbräuchlichkeit als von Anfang an nicht existent anzusehen ist. Allerdings kann aus Sicht des EuGH national eine Verjährungsfrist vorgesehen werden für eine Klage, mit der die Erstattung geltend gemacht wird, die aus einer Missbräuchlichkeitsfeststellung herrührt. Die Gestaltung darf aber nicht so sein, dass die Verjährungsfrist für die Rückerstattung bereits abgelaufen ist, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel Kenntnis zu nehmen.
Aus Sicht des EuGH ist es nicht transparent, wenn dem Verbraucher bei Vertragsschluss zahlreiche Informationen übermittelt werden, sofern diese auf der Hypothese beruhen, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die ganze Laufzeit des Vertrages stabil bleiben wird. Angesichts der Kenntnisse der gewerbetreibenden Vertragspartei zum vorhersehbaren wirtschaftlichen Kontext sowie der besseren Mittel, über die die gewerbetreibende Partei zur Vorhersehung des Wechselkursrisikos verfüge, und eines beträchtlichen Wechselkursschwankungsrisikos erkannte der EuGH, dass derartige Klauseln zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien aus dem Darlehensvertrag verursachen können.
(7) Individuelle Schiedsvereinbarungen: Schlussanträge von Frau Generalanwältin Kokott vom 22.04.2021, Rs. C-109/20
In ihren Schlussanträgen in der Sache Republik Polen gegen PL Holdings Sàrl hatte sich Frau Generalanwältin Kokott mit der Frage zu befassen, inwieweit die sogenannte Achmea-Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich einer allgemeinen Schiedsklausel in Investitionsabkommen zwischen Mitgliedstaaten zugunsten von Investoren auch auf eine individuelle Schiedsvereinbarung eines EU-Mitgliedstaats mit einem Investor Anwendung finden soll. Konkret hatte der EuGH in Sachen Achmea (Urteil vom 06.03.2018, Rs. C 284/16) festgestellt, dass Schiedsklauseln zugunsten von Investoren in Investitionsabkommen zwischen Mitgliedstaaten mit EU-Recht unvereinbar sind. Andererseits zeigt die Generalanwältin in ihren nunmehrigen Schlussanträgen auf, dass der EuGH auf Privatautonomie beruhende Regelungen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit zumindest in einem gewissen Umfang akzeptiert (Urteile Nordsee Rs. C-102/81 und Eco Swiss Rs. C-126/97), jedenfalls wenn die betroffenen EU-Regelungen nicht grundlegender Natur sind. Den nunmehrigen Ausgangsfall zwischen einem Mitgliedstaat und einem privaten Investor sieht die Generalanwältin im Gegensatz dazu nicht als gleichgeordneten Handelsstreit an, sondern betont den Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse. In der Folge spricht sie sich zugunsten einer umfassenden EU-Rechtskontrolle aus und damit für eine Anwendung der Achmea-Grundsätze auch auf die nun betrachteten Fallkonstellationen. Abzuwarten bleibt, ob der EuGH diesem Votum folgen wird.
(8) Europäisches Datenschutzrecht: Neue DSGVO-Standardvertragsklauseln
Die Europäische Kommission hat neue Standardvertragsklauseln beschlossen, die am 04.06.2021 im Amtsblatt veröffentlicht worden sind (ABlEU L 199, S. 18 ff). Insbesondere gehören hierzu auch solche Musterklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer (S. 31 ff.) – ein Thema, das vor allem im Anschluss an das EuGH-Urteil in Sachen Schrems II vom 16.07.2020 (Rs. C-311/18) noch einmal besondere Beachtung gefunden hat, als der EuGH die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA nicht länger auf der Grundlage des sogenannten Privacy Shield als zulässig erachtete. Es besteht nun eine 18-monatige Übergangsfrist, um Verträge aus der Vergangenheit zu ersetzen. Es stehen vier Module zur Verfügung, und zwar Modul I (Übermittlung von Verantwortlichen an Verantwortliche), Modul II (Übermittlung von Verantwortlichen an Auftragsverarbeiter), Modul III (Übermittlung von Auftragsverarbeitern an Auftragsverarbeiter), Modul IV (Übermittlung von Auftragsverarbeitern an Verantwortliche). Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) geht jedoch in einer Mitteilung vom 21.06.2021 wie auch der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) davon aus, dass trotz dieser neuen EU-Standardvertragsklauseln eine Prüfung der Rechtslage im Drittland nötig ist. Gegebenenfalls sind zusätzlich ergänzende Maßnahmen erforderlich.
(9) Betrieblicher Datenschutzbeauftragter: Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 27.04.2021, Az. 9 AZR 383/19 (A) an den EuGH
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde mit der Frage konfrontiert, ob ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter, der zugleich Betriebsratsvorsitzender ist, angesichts des Inkrafttretens der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) von seinem Amt als Datenschutzbeauftragter abberufen werden durfte. Aus Sicht des deutschen Rechts ist für die Abberufung ein wichtiger Grund erforderlich. Die Voraussetzungen nach Europäischem Recht, Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO, sind dagegen großzügiger und verhindern eine Abberufung lediglich dann, wenn sie wegen der Aufgabenerfüllung des Datenschutzbeauftragten vorgenommen wird. Das BAG sah nach dem deutschen Recht keinen wichtigen Grund für eine Abberufung und möchte deshalb nun vom EuGH wissen, ob diese nationalen Regelungen neben der europäischen Regelung anwendbar sind und ob damit die Möglichkeit der Abberufung eines Datenschutzbeauftragten gegenüber unionsrechtlichen Regelungen eingeschränkt werden darf. Sollte dies der EuGH ebenso sehen, stellt sich aus Sicht des BAG auch noch die Frage, ob die Ämter des Betriebsratsvorsitzenden und des Datenschutzbeauftragten in einem Betrieb in Personalunion ausgeübt werden dürfen oder ob stattdessen ein Interessenskonflikt im Sinne von Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO vorliegt.
(10) Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht oder Kompetenzüberschreitung? Mitteilung der Kommission vom 09.06.2021 über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die Europäische Kommission hat gemäß einer von ihr ausgereichten Mitteilung vom 09.06.2021 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Deutschland hat hierbei zwei Monate Zeit, um der Kommission zu antworten. Hintergrund hierfür ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.05.2020, mit dem das höchste deutsche Gericht das vom EuGH gebilligte Staatsanleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank teilweise als verfassungswidrig eingestuft und insoweit die Rechtswirkung in Deutschland abgesprochen hat. Die Kommission wirft Deutschland vor, dadurch gegen den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts verstoßen und insbesondere den Grundsätzen der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts nicht Genüge getan zu haben. Das BVerfG nimmt dagegen für sich in Anspruch, im Rahmen seiner Rechtsprechung auch zu prüfen, ob Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU die Grenzen ihrer Kompetenzen überschreiten (sog. „ultra vires“-Doktrin). Solche Grenzen resultieren nach seiner Ansicht, auch für den EuGH, aus dem sogenannten „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“. Nach diesem in Art. 5 EUV niedergelegten Grundsatz wird die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der EU nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten. Die Abgrenzung kann sich im Einzelfall als sehr schwierig erweisen und gibt Raum für viele zusätzliche Rechtsgutachten, vorausgesetzt, dass das Vertragsverletzungsverfahren die Meinungsverschiedenheiten zwischen nationaler und europäischer Ebene nicht ein für alle Mal beseitigen kann – davon ist eher nicht auszugehen.
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Europarechts-News März 2021
(1) EU-Kartellrecht: Kommission verhängt Geldbußen von 7,8 Mio. € in der Videospielbranche wegen Verstoßes gegen das Geoblocking-Verbot
Die Europäische Kommission hat Geldbußen in Höhe von 7,8 Mio. € gegen Valve, Betreiberin der Online-PC-Spielplattform „Steam“, und fünf Verleger von Videospielen (Bandai Namco, Capcom, Focus Home, Koch Media und ZeniMax) verhängt. Sie wirft den Unternehmen vor, dass der grenzüberschreitende Verkauf von Spielen über einen gewissen Zeitraum unter Verstoß gegen das EU-Kartellrecht vertraglich beschränkt worden sei. Konkret hätten Valve und die benannten Verlage mit bilateralen Vereinbarungen zum Geoblocking bestimmter Videospiele den EWR-Markt in rechtswidriger Weise abgeschottet.
Zum einen sei durch geoblockierte Steam-Aktivierungsschlüssel die Aktivierung bestimmter Videospiele in verschiedenen EU-/EWR-Mitgliedstaaten verhindert worden. Zum anderen hätten vier der fünf Verlage (Bandai, Focus Home, Koch Media und ZeniMax) mit bilateralen Lizenz- und Vertriebsvereinbarungen mit einigen Anbietern ihrer Videospiele im EWR – ausgenommen Valve – den grenzüberschreitenden Verkauf innerhalb des EWR beschränkt. Mit solchen Vorgehensweisen seien Verbraucher daran gehindert worden, in einzelnen EWR-Mitgliedstaaten gekaufte Videospiele auf physischen Medien auch in anderen EWR-Ländern zu spielen. Aktivierungscodes hätten nur innerhalb bestimmter Landesgrenzen freigeschaltet werden können, so dass ein Verstoß gegen das Geoblocking-Verbot vorläge. Die Geoblocking-Praktiken sollen rund 100 Videospiele betroffen haben. Bekannt wurde, dass sich zumindest Valve gegen die Entscheidung der Kommission aus verschiedenen Gründen zur Wehr setzen möchte. Unter anderem waren bei den Verlagen die Geldbußen um 10 bis 15 % ermäßigt worden, nicht aber bei Valve. Valve widerspricht dem Vorwurf, anders als die Verlage nicht mit der Kommission zusammengearbeitet zu haben. Möglicherweise wird in einem Gerichtsverfahren über das Ausmaß einer Kooperation mit den Behörden zu befinden sein, ferner über eine Haftung von Plattformanbietern, wenn über deren Plattformen Geoblocking betrieben wird.
(2) Urteil des EuGH vom 03.02.2021 (C-555/19) zum Verbot regionaler Werbung in deutschlandweiten Fernsehprogrammen
Es kommt nicht häufig vor, dass der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht (umfassend) folgt. In seinem Urteil vom 03.02.2021 in Sachen Fussl Modestraße Mayr ./. SevenOne Media GmbH u. a. akzentuierte der EuGH nunmehr stärker als der Generalanwalt, dass das in Deutschland im Medienstaatsvertrag niedergelegte Verbot, im Rahmen bundesweit ausgestrahlter deutscher Fernsehprogramme Werbung nur regional zu zeigen, gegen das EU-Recht verstoßen kann. So kommt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit in Betracht. Hier sei zu prüfen, ob das Verbot überhaupt geeignet und erforderlich sei. Dies entspricht auch dem Ansatz des Generalanwalts. Anders als dieser sah der EuGH jedoch auch noch die Möglichkeit, dass eine rechtswidrige Ungleichbehandlung von Fernsehveranstaltern und Anbietern von Werbung im Internet vorliegen könnte. Eine solche Vergleichbarkeit hatte der Generalanwalt dagegen noch abgelehnt und als sinnlos angesehen. Das LG Stuttgart ist nunmehr zur weiteren Entscheidungsfindung unter Beachtung der Hinweise des EuGH verpflichtet.
(3) Urteil des EuGH vom 20.01.2021 (C-619/19) zum Zugang zu Umweltinformationen hinsichtlich „Stuttgart 21“
Auch in einem weiteren Verfahren mit Stuttgarter Bezug hat der EuGH jüngst sein Urteil gesprochen. Es geht hierbei um Informationsherausgabeansprüche in Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz im Jahre 2010 anlässlich Baumfällarbeiten für Stuttgart 21. Ein Antragsteller hatte beim Staatsministerium Baden-Württemberg den Antrag auf Zugang zu verschiedenen Unterlagen begehrt und sich letztlich auf die europäische Umweltrichtlinie berufen.
Eine Ausnahme vom umweltrechtlichen Auskunftsanspruch ist aufgrund EU-Richtlinienrechts und des nationalen Umsetzungsrechts dann vorgesehen, wenn bloße „interne Mitteilungen“ vorliegen. Als solche sieht der EuGH nunmehr alle Informationen an, „die innerhalb einer Behörde im Umlauf sind und die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Zugang, gegebenenfalls nachdem sie bei dieser Behörde eingegangen sind und soweit sie der Öffentlichkeit vor diesem Eingang nicht zugänglich gemacht worden sind oder hätten zugänglich gemacht werden müssen, den Binnenbereich dieser Behörde nicht verlassen haben“.
Der EuGH ist der Auffassung, dass die Anwendbarkeit der Ausnahme vom Recht auf Zu-gang zu Umweltinformationen, die für solche internen Mitteilungen vorgesehen sind, zeitlich nicht begrenzt ist. Allerdings könne sie nur in dem Zeitraum angewandt werden, in dem der Schutz der angeforderten Informationen gerechtfertigt sei. Dies sei in eine Interessensabwägung mit einzubeziehen. Nunmehr ist wieder die nationale Gerichtsbarkeit am Zuge, um den Fall abzuschließen.
(4) Beschluss des BGH vom 11.02.2021, Az. I ZR 241/19 hinsichtlich der Pflicht von Internethändlern, über Herstellergarantien zu informieren
Ausgangspunkt dieses in den Vorinstanzen vom LG Bochum und OLG Hamm entschiedenen Falles ist der Vertrieb von Taschenmessern über die Internetplattform Amazon. Konkret stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit in diesem Zusammenhang nebst einem Hinweis auf eine bestehende Garantie des Herstellers auch noch auf gesetzliche Rechte der Verbraucher hingewiesen werden muss. Während das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, ist das OLG zu einer entsprechenden Verurteilung des beklagten Händlers gekommen. Die einschlägigen deutschen Vorschriften, insbesondere § 312d BGB (hinsichtlich Fernabsatzverträgen), § 479 BGB (zu Garantieerklärungen) und Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EGBGB (mit der Präzisierung, welche Informationen Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden müssen) setzen EU-Richtlinienrecht um. Der BGH hat sich daher dazu entschlossen, dem EuGH entsprechende Auslegungsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH wird sich somit zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. m) der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU äußern müssen. Für Internethändler kann eine solche Entscheidung von weitreichender Bedeutung sein.
(5) Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 11.02.2021, Az. 26 SchH 2/20, zu einer unwirksamen Schiedsklausel bei unionsinternen Investitionsstreitigkeiten
Unter Hinweis auf die Achmea-Rechtsprechung des EuGH hat das OLG Frankfurt in einem Beschluss vom 11.02.2021 ein auf Antrag einer österreichischen und einer kroatischen Bank gegen die Republik Kroatien eingeleitetes Schiedsverfahren für unzulässig erklärt. Die Grundlage für dieses Schiedsverfahren fand sich in einem bilateralen völkerrechtlichen Investitionsschutzübereinkommen (sog. Bilateral Investment Treaty, BIT). Das OLG sah eine Beeinträchtigung der Autonomie des EU-Rechts, wenn von einer Schiedsgerichtsentscheidung in einer Investitionsstreitigkeit zwischen EU-Mitgliedstaaten EU-Recht betroffen sein kann. Der EuGH hatte bereits am 06.03.2018 (C - 284/16) in Sachen Achmea eine entsprechende Grundsatzentscheidung gefällt. Auf ein Handelsschiedsverfahren, das dagegen auf Privatautonomie beruht, sind diese Überlegungen aber nicht ohne weiteres übertragbar.
(6) Europäischer Rat verabschiedet Maßnahmenbündel für die Erholung der Kapitalmärkte (Änderungen der MiFID II, Prospektverordnung)
Der Europäische Rat hat am 15.02.2021 Änderungen an der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) und an der Prospektverordnung vorgenommen, die zeitnah im Amtsblatt verkündet werden sollen. Bei der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sodann neun Monate Zeit für eine Umsetzung ins nationale Recht; die Verordnung wird ohne weitere Umsetzung am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung in den Mitgliedstaaten verbindlich sein. Ziel der Maßnahmen ist es, den Unternehmen nach der COVID 19-Pandemie eine Rekapitalisierung auf den Finanzmärkten zu erleichtern. Mit den gebilligten Änderungen der MiFID-II-Vorschriften sollen einerseits Informationspflichten vereinfacht, andererseits aber auch der Anlegerschutz gewahrt werden. Unter anderem ist vorgesehen, dass beispielsweise professionellen Anlegern weniger Informationen über Kosten und Gebühren zur Verfügung gestellt werden müssen. Zudem sollen Anlegerinformationen in Papierform schrittweise abgeschafft werden. Kleinanleger, soweit sie dies wünschen, sind jedoch davon ausgenommen. Vorgesehen ist darüber hinaus in der Prospektverordnung die Einführung eines „EU-Wiederaufbauprospekts“, eine Art Kurzprospekt für vereinfachte und kostengünstigere Kapitalaufnahmen. Damit sollen Emittenten bis Ende 2022 Kapitalerhöhungen von bis zu 150 % der zugelassenen Aktien ermöglicht werden. Der Prospekt darf, ohne Zusammenfassung, 30 DIN-A4-Seiten nicht überschreiten und soll verkürzte Informationen enthalten.
(7) Corona-Beihilfen für Unternehmen der Messe- und Kongressbranche
Für Unternehmen der Messe- und Kongressbranche, die aufgrund der Corona-Pandemie Schäden erlitten haben, können Entschädigungen bezahlt werden. Die Europäische Kommission hat zu diesem Zweck eine Beihilferegelung des Bundes in Höhe von 642 Mio. € nach dem EU-Beihilferecht genehmigt. Eine Förderfähigkeit ist dann gegeben, wenn die einschlägigen Unternehmen im Zeitraum zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2020 einen Gewinnausfall erlitten haben und dieser mit den in diesem Zeitraum relevanten Maßnahmen der Länder zur Eindämmung der Ausbreitung der Viruspandemie zusammenhängt.
(8) COVID 19-Pandemie: Impfstoff-Vertrag zwischen der Europäischen Kommission und Sanofi – GSK veröffentlicht
Veröffentlicht wurde im Februar 2021 der Impfstoff-Vertrag („Advance Purchase Agreement“) zwischen der Europäischen Kommission und Sanofi – GSK vom September 2020. Er ist im Internet einsehbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/apa_with_sanofi_gsk.pdf. Sensible Passagen sind allerdings geschwärzt.
(9) Telekommunikationsrecht: Vertragsverletzungsverfahren gegen 24 Mitgliedstaaten
Die Kommission hat am 4. Februar 2021 gegen Deutschland und 23 weitere EU-Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die Kommission macht geltend, dass die Staaten die neuen Vorschriften des Europäischen Kodex für elektronische Kommunikation (Richtlinie EU 2018/1972) nicht fristgerecht umgesetzt haben. Mit diesem Kodex soll eine Modernisierung des Rechtsrahmens im Bereich der Telekommunikationsvorschriften erfolgen. Es sollen ein hoher Standard für Kommunikationsdienste, insb. auch im 5G-Netz-Bereich, erreicht und Verbraucherrechte gestärkt werden sowie die Bedürfnisse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wie behinderter oder älterer Menschen berücksichtigt werden. Vor allem ist die Ermöglichung eines wirksamen Wettbewerbs im Fokus der Neuregelungen.
Hierzu hat die Kommission im Dezember 2020 noch ergänzende Rechtsvorschriften verabschiedet wie z. B. eine neue delegierte Verordnung, in der unionsweit einheitliche maximale Anrufzustellungsentgelte festgelegt werden.
(10) BREXIT und EU-Datenschutzrecht: Datenfluss in das Vereinigte Königreich
Die EU-Kommission hat am 21.02.2021 im Hinblick auf die Übermittlung von personenbezogenen Daten in das Vereinigte Königreich (UK) das Verfahren zur Annahme von Angemessenheitsbeschlüssen eingeleitet. Sie hat zu diesem Zweck das Recht und die Praxis des Schutzes personenbezogener Daten im UK nach eigenen Angaben gründlich geprüft, einschließlich des Datenzugriffs durch Behörden. Sie kam hierbei zu dem Ergebnis, dass das im UK bestehende Schutzniveau demjenigen der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Wesentlichen gleichwertig ist. Nunmehr hat der Europäische Datenschutzausschuss Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Auch eine Zustimmung der Vertreter der EU-Mitgliedstaaten steht noch aus, bevor die Angemessenheitsbeschlüsse angenommen werden können. Nach vier Jahren soll das Datenschutzniveau im UK erneut geprüft werden. Mit dem Ablauf der BREXIT-Übergangszeit am 31.12.2020 ist das UK grundsätzlich zu einem Drittstaat im Sinne der DSGVO geworden. Allerdings läuft gegenwärtig noch bis zum 30.06.2021 eine spezielle datenschutzrechtliche Übergangsphase, die im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem UK im Dezember 2020 vereinbart worden war. Abzuwarten bleibt jedoch, sollte dieser Weg wie skizziert beschritten werden, wie letztlich eine gerichtliche Kontrolle ausfallen wird. Immerhin hatte der EuGH erst am 16.07.2020 in der sogenannten Schrems II-Entscheidung (Az. C-311/18) den von der Europäischen Kommission gefundenen Privacy Shield-Regelungsmechanismus mit den Vereinigten Staaten für unzureichend erklärt. Maßgeblicher Prüfungspunkt könnten Zugriffsrechte von (Sicherheits-)Behörden auf Daten sein.
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