02.05.23

Europarechts-News Mai 2023

Europarechts-News Mai 2023

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Inhalt: Wettbewerbsrecht (vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor, Revidierte Leitlinien), Bankrecht (gemeinsame Einlagensicherung, Bankenabwicklung), Regulierung der Märkte für Kryptowerte, Datenschutzrecht (Abberufung von Datenschutzbeauftragten), Beihilferecht (Kraft-Wärme-Koppelung).

(1) Wettbewerbsrecht: Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor verlängert und Revision der Ergänzenden Leitlinien

Die Europäische Kommission hat die Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor (VO (EU) Nr. 461/2010) um fünf Jahre bis zum 31.05.2028 verlängert (VO (EU) 2023/822 vom 17.04.2023). Zudem erfolgte eine Revision der Ergänzenden Leitlinien. Damit soll der Kfz-Branche größere Sicherheit zuteilwerden, wie vertikale Vereinbarungen vor dem Hintergrund des EU-Wettbewerbsrechts in rechtlicher Hinsicht zu beurteilen sind.

Vor allem hat es die technische Entwicklung mit einer stärkeren Digitalisierung von Pkws mit sich gebracht, dass den fahrzeuggenerierten Daten künftig in viel stärkerem Ausmaß Beachtung beizumessen ist. Auf solche Daten sollen nicht nur Hersteller der Pkws zugreifen können, sondern auch unabhängige Marktteilnehmer wie freie Werkstätten, Ersatzteilhersteller, Automobilclubs u.a. für die Erbringung von Service-Leistungen, für die Instandsetzung, für die Wartung oder beispielsweise auch für die Herstellung von Ersatzteilen oder Werkzeugen. Der Zugang unabhängiger Marktteilnehmer zu technischen Informationen wurde daher zum Zugang zu wesentlichen Inputs erweitert, die vor allem auch die fahrzeuggenerierten Daten mitumfassen.

Wird in Erwägung gezogen Input, das für die Instandsetzung und Wartung von wesentlicher Bedeutung ist, anderen Marktteilnehmern aus Sicherheitsgründen vorzuenthalten, muss zunächst eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden.

Ausführlichere Hinweise für den Prüfungsmaßstab der Europäischen Kommission sind in den revidierten Leitlinien nunmehr auch für Vereinbarungen zu finden, die sogenannte Kernbeschränkungen als schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen enthalten. Der Text der revidierten Leitlinien knüpft hierbei vor allem an Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen an.

(2) Bankrecht: Reform des Krisenmechanismus im Bankensektor und europäische Einlagensicherung

Die Europäische Kommission unternimmt erneut einen Versuch, die Bankenunion in der EU einer Vollendung zuzuführen. Sie hat zu diesem Zweck am 18. April 2023 ein Paket zur Reform des Krisenmanagements im Bankensektor und der Einlagensicherung vorgelegt. Geändert werden sollen formal die europäische Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (2014/59/EU), die europäische Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (806/2014) sowie die europäische Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (2014/49/EU).

Aus Sicht der Europäischen Kommission sind letztlich europaweit betrachtet mittlere und kleinere Banken zu selten abgewickelt worden, weil hier häufig auf Mechanismen zurückgegriffen wurde, die außerhalb des harmonisierten Abwicklungsrahmens lagen. Dies solle sich künftig ändern.

In Deutschland sind insbesondere Sparkassen und Genossenschaftsbanken aufgeschreckt, ob damit verbunden wiederum das bewährte Drei-Säulen-Modell und ihre eigenen Institutseinlagensicherungssysteme in Frage gestellt werden sollen. In einem von der Kommission vorgelegten Fragen- und Antwortkatalog wird ausgeführt:

„Um Engpassrisiken bei nationalen Einlagensicherungssystemen möglichst nachhaltig zu verringern, bietet sich nach wie vor eine Vergemeinschaftung solcher Systeme auf gesamteuropäischer Ebene an, da diese dann besser gegen eine Erschöpfung der Mittel gerüstet wären. In den aktuellen Vorschriften ist die Möglichkeit vorgesehen, dass nationale Einlagensicherungssysteme sich gegenseitig auf freiwilliger Basis Kredite gewähren. In Ermangelung einer politischen Einigung über die Einrichtung eines europäischen Einlagenversicherungssystems kann die heutige Reform die Gefahr von Engpässen bei nationalen Einlagensicherungssystemen allerdings nicht vollständig ausschließen. Nach Angaben der EZB gibt es in jedem Mitgliedstaat mindestens eine mittlere oder kleine Bank, bei der im Falle der Erstattung der gedeckten Einlagen das nationale Einlagensicherungssystem vollständig erschöpft würde. Die größte Gefahr von Engpässen bei Einlagensicherungssystemen geht daher von Auszahlungen im Falle einer Liquidation aus.“

In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Institutssicherungssysteme der Kreditwirtschaft aus Österreich, Deutschland, Italien, Polen und Spanien umgehend zu Wort gemeldet. Sie verlangen für die weiteren Verhandlungen über das Gesetzespaket, dass die Funktionsfähigkeit ihrer Systeme auch bei einer Reform des Krisenmechanismus aufrechterhalten bleibt. Sie fordern ganz im Rahmen des auch vom EU-Recht ausdrücklich anerkannten und justitiablen Subsidiaritätsgedankens, dass Maßnahmen ihrer Sicherungssysteme weiterhin Vorrang vor Maßnahmen einer Abwicklungsbehörde haben müssen. Zudem müsse bei der Anwendung von Präventivmaßnahmen zwischen reinen Einlagensicherungssystemen und solchen Einlagensicherungssystemen unterschieden werden, die unter EU-Recht als Institutssicherungssysteme anerkannt seien. Für letztere sollten die derzeitigen Bestimmungen über die Verwendung der Mittel aus der Finanzierung von Einlagensicherungssystemen beibehalten werden (Art. 11 der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme).

Jedenfalls soll nach Plänen der EU die Deckungshöhe von 100.000 € pro Person und Institut für einen Einlagenschutz bestehen bleiben, in Ausnahmefällen etwa bei bestimmten Ereignissen wie z.B. Erbschaft soll dieser auch darüber hinausreichen. Auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sollen vom Einlegerschutz profitieren können.

(3) Crypto Assets: EU-weite Regulierung der Märkte für Kryptowerte (Markets in Crypto Assets – MiCA)

Das Europäische Parlament hat am 20. April 2023 in erster Lesung einen Regelungsrahmen in Form einer europäischen Verordnung für Kryptowerte einschließlich Kryptowährungen gebilligt. Geläufig ist das Regelungsinstrument unter dem englischen Begriff Markets in Crypto-Assets = MiCA Verordnung. Bei Zustimmung durch den Rat und Verkündung im EU-Amtsblatt gelten damit EU-weite Regelungen für Kryptowerte, die nicht schon von den bestehenden Regeln im Finanzdienstleistungssektor erfasst werden. Nach Maßgabe der vorgesehenen Bestimmungen sollen Krypotwertetransaktionen reguliert werden, eine stärkere Transparenz soll greifen. Vorgesehen sind insbesondere Regelungen über die Aufsicht, den Verbraucherschutz und den Umweltschutz. Die Bekämpfung der Kriminalität und der Geldwäsche im Besonderen sind ein wesentliches Ziel der vorgesehenen Regelungen. Um einen Anreiz zu schaffen, den Energieverbrauch bei der Schaffung und dem Einsatz von Kryptowährungen so weit wie möglich in Grenzen zu halten, ist eine Pflicht für wichtige Dienstleister vorgesehen, ihren Energieverbrauch offenzulegen. Transaktionen von Emittenten und Händlern von Kryptowerten werden künftig nach Maßgabe der neuen Bestimmungen überwacht. Verschiedene Dienstleister im Kryptowertebereich benötigen eine Genehmigung, können dann aber auch über die Landesgrenzen hinweg in der gesamten EU tätig sein. Mit einem Inkrafttreten der beabsichtigten Verordnung kann im Juni 2023 gerechnet werden.

(4) Datenschutzrecht: EuGH, Urt. vom 09.02.2023. C-453/21 (X-FAB Dresden GmbH & Co. KG ./. FC): Abberufung von Datenschutzbeauftragten

Aus deutscher Sicht große Aufmerksamkeit fand ein Verfahren vor dem EuGH, das die Abberufung von Datenschutzbeauftragten betraf. Hintergrund des Vorlageverfahrens des Bundesarbeitsgerichts war, dass ein Datenschutzbeauftragter nach Art. 38 Abs. 3 S. 2 der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) „von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden“ darf. Im nationalen deutschen Recht verweist § 6 Abs. 4 S. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) stärker einschränkend darauf, dass die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten nur entsprechend § 626 BGB zulässig ist, das heißt es müsste ein wichtiger Grund im Sinne dieser Norm vorliegen, auf den nach BGB eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gestützt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Abberufenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung der Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Bestellungsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Der EuGH entschied in seinem Urteil vom 09.02.2023, dass die europarechtliche Norm des Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO einer strengeren nationalen Norm nicht entgegensteht, sofern die nationale Norm nicht die Verwirklichung der Ziele der DSGVO beeinträchtigt. Dies hat wiederum ein nationales Gericht sicherzustellen.

Zudem äußerte sich der EuGH zum Verständnis des Art. 38 Abs. 6 DSGVO. Danach kann der Datenschutzbeauftragte andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter hat dabei sicherzustellen, dass derartige Aufgaben und Pflichten nicht zu einem Interessenkonflikt führen. Nach Auffassung des EuGH kann ein „Interessenkonflikt“ dann bestehen, wenn einem Datenschutzbeauftragten andere Aufgaben oder Pflichten übertragen werden, die ihn dazu veranlassen würden, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten bei dem Verantwortlichen oder seinem Auftragsverarbeiter festzulegen. Auch dies ist wiederum näher durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zu prüfen.

(5) Beihilfenrecht: Anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gericht, Az. T-409/21: Bundesrepublik Deutschland ./. Europäische Kommission in Sachen Kraft-Wärme-Koppelung

Mit Beschluss vom 3. Juni 2021 hatte die Europäische Kommission verschiedene von Deutschland – ggf. vorsorglich – notifizierte Änderungen beim Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz (KWKG) gebilligt (Staatliche Beihilfe SA.56826 (2020/N) – Deutschland – Reform 2020 der Regelung zur Förderung der Kraft-Wärme-Koppelung und Staatliche Beihilfe SA.53308 (2019/N) – Deutschland – Änderung der Förderregelung für bestehende KWK-Anlagen (§ 13 KWKG)).

Die Bundesrepublik Deutschland wandte sich daraufhin mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gericht gegen diesen Beschluss, soweit „a) die Förderung der Erzeugung von KWK-Strom in neuen, modernisierten und nachgerüsteten hocheffizienten KWK-Anlagen, b) die Unterstützungen die Förderung von energieeffizienten Wärme- und Kältenetzen, c) die Förderung von Wärme- und Kältespeichern; d) die Förderung der Erzeugung von KWK-Strom in hocheffizienten gasbefeuerten KWK-Bestandsanlagen im Fernwärmesektor und e) die reduzierte KWKG-Umlage für die Hersteller von Wasserstoff nach dem KWKG 2020“ als staatliche Beihilfen angesehen werden.

In dem Verfahren wurde am 4. Mai 2023 vor dem Europäischen Gericht mündlich verhandelt. Deutschland ist hierbei der Ansicht, dass die Kommission Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU falsch ausgelegt und angewandt hat. Nach dieser Norm sind, wenn in den europäischen Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Im Einzelnen hält Deutschland der Kommission entgegen, dass allein der Abgabencharakter einer (KWKG-)Umlage noch keine Staatlichkeit der vereinnahmten Mittel impliziere. Zudem stellten weder die KWKG-Umlage nach dem KWKG 2020 noch die den Anlagebetreibern von den Netzbetreibern gezahlten Zuschläge eine Abgabe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung dar. Weiterhin geht Deutschland davon aus, dass Mittel, die von den Übertragungsnetzbetreibern vereinnahmt werden, nicht unter staatlicher Kontrolle und dem Staat zur Verfügung stehen.

Die Entscheidung aus Luxemburg ist mit Spannung zu erwarten, da die aufgeworfenen Fragen grundsätzlicherer Natur sind und angesichts der häufigen Änderungen des KWKG und sonstiger Normen im Energierecht nicht unerhebliche Auswirkungen haben können, wie weitreichend hier nationale Gestaltungsspielräume bei Förderungsmaßnahmen sind, ohne das Risiko einer Europarechtswidrigkeit einzugehen.

Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt
Dr. Thomas M. Grupp
Maître en droit (Aix-Marseille III)
Tel.: +49 (0) 711/22744-69
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